Kürzlich ging es wieder einmal mit
Couchsurfing
auf Tour. Und es trat wieder ein, was bisher immer geschah, wenn ich
mich bei einem wildfremden Menschen zu Hause einquartierte: Wir kamen
nicht nur ins Gespräch sondern lernten viel von einander und unseren
kulturellen Hintergründen. In diesem Falle fand ich mich bei einem
Künstler wieder. Fotografieren ist seine große Leidenschaft,
die beim ersten Blick durch seine Wohnung schon deutlich wird.
Überall verdeckten Portraits, Landschaftsbilder und Kollagen die
Wand. Eine der Kollagen zog meine Aufmerksamkeit besonders auf sich:
„Der Schrei“ von Edvard Munch zusammengesetzt aus vielen kleinen
Aufnahmen von schreienden Personen. Nicht nur ein besonders schönes
Bild. In erster Linie eines, das zum Denken anregt, insbesondere da
man einigen Personen ansieht, dass sie nicht wirklich geschrien
haben.
Fotografieren, um zu leben
Wer selbst fotografiert, weiß auch,
dass es zum Leben normalerweise nicht ausreicht, nur Fotos zu
schießen. In der Regel ist es mehr ein Hobby, das von einem
regulären Job begleitet wird. Bei meinem Gastgeber ist es irgendwie
ein bisschen anders: Das Fotografieren hilft ihm, sich über
Wasser zu halten. Er arbeitet hauptsächlich als Privatlehrer, was
ihm einen Satz von unter zehn Wochenstunden einbringt und daher nur
unzureichend seine Lebenskosten decken kann. Er verbindet quasi seine
Leidenschaft mit der Linderung seiner Not. Aber natürlich kostet ihn
sein Hobby auch viel, weswegen ich mit einer akribischen
Kosten-Nutzen-Rechnung eher vorsichtig wäre. Für ihn ist die Sache
aber klar: Ohne Fotografieren kein Überleben.
Überleben – mehr als am Leben
bleiben?
Die Frage, was denn eigentlich
Überleben meine und worin es sich vom Leben unterscheide,
drängte sich beim Gespräch mit diesem Mann auf. Ist es ein Leben,
wenn man sein Hobby dazu missbrauchen muss, seinen Lebensunterhalt zu
bestreiten? Oder lebt der Mann seinen Traum, weil er sich dem widmen
kann, was ihm liegt und was ihm Spaß macht? Würde ich das wollen
oder doch eher die Trennung zwischen Spaß und Arbeit beibehalten?
Gute Fragen, die sich wahrscheinlich so manch einer in einer
Wohlstandsgesellschaft wie der unseren stellt. Dass Überleben
für andere Menschen etwas anderes bedeutet, verliert man da schnell
aus den Augen. Und wie schnell es von alltagsphilosophischen Fragen
an die pure Existenz gehen kann, sieht man an vielen
Familiengeschichten zum Beispiel aus Griechenland.
Hoffen wir, dass es uns nicht bald ähnlich gehen wird!
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